734 Millionen Franken. So hoch ist der geschätzte Schaden, den die Forschenden in der Schweiz infolge der Initiative gegen Masseneinwanderung und dem darauffolgenden teilweisen Ausschluss aus dem Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union (EU), Horizon 2020, erlitten. In einem interessanten Bericht lieferte das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation im September 2018 nun Zahlen, die den Befund der Wissenschaftsgemeinde seit dem 9. Februar 2014 belegen: Die 36-monatige Rechtsunsicherheit aufgrund offener Fragen zur Umsetzung der Initiative liess die Schweizer Beteiligung deutlich sinken – und zwar sowohl die Anzahl Projekte, die finanziellen Mittel als auch die Schweizer Koordinationen. Ein regelrechtes Gift für den Forschungsstandort Schweiz.
Fast fünf Jahre nach dem Ausschluss der Schweiz bestätigt sich also, dass die Schweizer Hochschulen und Forschungsinstitutionen nicht bloss den Teufel an die Wand gemalt haben – auch wenn sie es damals verpasst hatten, ihre Bedenken der Stimmbevölkerung zu Verstehen zu geben. Heute stehen wir kurz vor der Abstimmung über eine neue Vorlage, welche die internationale Verankerung der Schweiz bedroht – die Selbstbestimmungsinitiative. Die Erfahrungen im Bereich Bildung und Forschung können dabei als Beispiel dienen: Die Hochschulen und Forschungsinstitutionen haben nicht nur das Recht, sondern geradezu die Pflicht, die möglichen Konsequenzen dieser Abstimmung aufzuzeigen. Sie ist ein Risiko für die Erfüllung des Auftrags zur Exzellenz und zur internationalen Ausstrahlung, den die Akteure von Bund und Kantonen erhalten haben.
Würde die Selbstbestimmungsinitiative am 25. November 2018 von einer Mehrheit der Bevölkerung und der Kantone angenommen, könnten deren Unterstützer alsbald betonen, dass das Abkommen mit der EU über die Personenfreizügigkeit (FZA) und die Bundesverfassung nicht miteinander vereinbar sind. Dies gestützt darauf, dass letztere am 9. Februar 2014 mit einem Artikel ergänzt wurde, wonach die Zuwanderung von Ausländern in die Schweiz begrenzt werden soll. Die Befürworter könnten das FZA als Widerspruch mit der Verfassung auslegen und erneut dessen Kündigung fordern. Unter Anwendung der verhängnisvollen Guillotine-Klausel im Rahmen der «Bilateralen I» könnte das auch die Auflösung des Forschungsabkommens zur Folge haben.
Wenn die Initiative hingegen scheitert, wird für die Schweiz und ihre Hochschulen in der Europa-Debatte trotzdem noch keine Ruhe einkehren. In den letzten Wochen des Jahres 2018 könnte Bundesbern gegebenenfalls ein Rahmenabkommen zur Stabilisierung der bilateralen Verträge mit der EU abschliessen. Eine Einigung in Brüssel wäre aber noch kein Sieg, wie die bewegte Geschichte der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU seit 1992 verdeutlicht. Es gilt die Bevölkerung und die Kantone von der Notwendigkeit eines solchen Abkommens zu überzeugen, zumal die Schweizer Stimmbevölkerung in der Aussenpolitik ein grosses Mitspracherecht und somit oft auch das letzte Wort hat. Diese Mitsprache ist grossartig und der Hauptgrund, warum die Selbstbestimmungsinitiative völlig unnötig ist.
Eine weitere Schweizer Beteiligung an den europäischen Forschungs- und Bildungsprogrammen führt daher zwangsläufig über den Abstimmungstermin vom 25. November 2018.